Freiwilligeneinsatz in Nosy Varika Madagaskar 2018

Die Lehrerin Sarah berichtet über ihren Freiwilligeneinsatz in Nosy Varika. Diese Kleinstadt liegt an der Ostküste von Madagaskar.

 

Marakaly namako!

Hallo meine lieben Freunde!

Inzwischen sind bereits 2.5 Monate vergangen, die ich auf der grossen roten Insel im indischen Ozean verbracht habe.

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen von meinem neuen, liebgewonnenen Zuhause und weiterzuziehen. Bevor ich meinen Rucksack packe und ins Bateau-Brousse einsteige, blicke ich nochmals zurück auf intensive, erlebnisreiche und unglaublich bereichernde Wochen.

Meine 4-tägige Anreise Mitte Januar ermöglichte mir das langsame Eintauchen in diese ganz fremde Kultur. Auch wenn der Kulturschock nicht ausblieb, fühlte ich mich dank des Chauffeurs gut begleitet. Ich hatte Zeit aus dem Inneren des Autos zu beobachten und Parani all meine Fragen zu stellen, die durch die vielen neuen Eindrücke auftauchten. Am Abend des vierten Reisetages kam ich nach einer 10-stündigen Bootsfahrt in Nosy Varika an.

Nosy Varika ist ein, für madagassische Verhältnisse, kleines Städtchen, das an der Ostküste zwischen dem Canal des Pangalanes und dem Meer liegt.

Ich durfte bei Caroline, ihrem Mann, den drei erwachsenen Söhnen, der Grossmutter und Simone, einer Freundin der Familie wohnen. Die Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft der Familie und ganz vieler anderer Einwohner des Dorfes ermöglichten mir ein schnelles Einleben und Wohlfühlen. (Einzig mit der unglaublich schwülen Hitze konnte ich mich bis zum Schluss nicht anfreunden…)

Wenige Tage nach meiner Ankunft startete ich auch schon mit meinem Englisch-Unterricht an der „A bonne école“. Dies ist eine durch Organisationen gegründete und getragene Primarschule für die ärmsten Kinder des Dorfes, um ihnen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Die Eltern müssen weder Schulgeld noch Schulmaterial bezahlen. Zusätzlich erhalten die Kinder ein- bis zweimal täglich eine warme Mahlzeit und werden bei Bedarf medizinisch versorgt.

Die staatlichen aber auch privaten Schulen in Madagaskar verfügen meist lediglich über Wandtafeln, Kreiden, Tische und Bänke für die Kinder und Lehrmittel für die Lehrpersonen. Madagassischer Unterricht (zumindest auf dem Land) bedeutet klassischer Frontalunterricht. Die Lehrperson schreibt an die Tafel, erklärt sehr viel und lässt die Kinder nachher abschreiben oder Aufgaben lösen. Zur Korrektur schreibt ein Kind die Lösung an die Tafel, während alle anderen warten und bestenfalls zuschauen. Diese Arbeitsweise bedeutet lange Wartezeiten und hinterlässt viele über- oder unterforderte Kinder. Erschwerend kommt hinzu, dass die Unterrichtssprache Französisch ist, jedoch viele der Lehrpersonen und Kinder die Sprache nicht wirklich verstehen oder sprechen können.

Nachdem die Lehrpersonen meine vielen Spiel- und Lernideen beneidet haben, beendete ich meinen Englisch-Unterricht und vermittelte ihnen fortan Didaktik und Methodik. Die Wochen vergingen schnell und Veränderungen brauchen Zeit. So bin ich sehr zufrieden, dass die Lehrpersonen nun einige neue Spiel- und Übungs-Ideen kennen sowie Möglichkeiten, wie sie die Kinder individueller Aufgaben lösen lassen können und die Korrektur ebenfalls individuell gestalten können. Die Lehrpersonen fühlen sich sehr privilegiert, in den Genuss einer solchen Weiterbildung gekommen zu sein 🙂

Daneben habe ich mit meiner Gastmutter, welche die Schule als Direktorin führt, viele Gespräche geführt, um die Schulentwicklung im Allgemeinen zu fördern. Da ging es beispielsweise um die Bepflanzung des Schulhofs (damit die Kinder bei der enormen Hitze im Schatten spielen können), Personalwechsel (da eine Lehrperson ihren Job sehr schlecht ausführt), das Erstellen neuer Excel-Tabellen (um den Aufwand der administrativen Arbeiten zu verringern) sowie die Wiedereröffnung der Bibliothek (was mir viele Stunden Putz- und Aufräumarbeiten einbrachte). Meine Inputs wurden dankend und mit offenen Armen entgegengenommen und haben Caroline und dem ganzen Team neuen Schwung verliehen 🙂

Zusätzlich unterrichtete ich Englisch an den beiden Lycées von Nosy Varika. Eine Klasse besteht aus bis zu 60 Gymnasiasten mit einem Altersunterschied von bis zu 6 Jahren. Da auch für den Englisch-Unterricht kein Material existiert, lernen die Jugendlichen hauptsächlich die englische Grammatik. Es ist daher kaum erstaunlich, dass ich lediglich einfachste Dialoge mit ihnen üben konnte. Die meisten SchülerInnen schienen Freude an meinen Unterrichtsstunden zu haben, auch wenn sich viele genierten Englisch zu sprechen. Das Schulfest ermöglichte mir, die Jugendlichen von einer anderen Seite kennenzulernen. Sich herausputzen, tanzen und festen können sie hervorragend. Da ist auch alle Scheu vergessen 🙂

Die madagassische Lebensweise folgt anderen Gesetzmässigkeiten und hat ihren ganz eigenen Rhythmus. Madagassen sind sehr geduldige Menschen. Warten gehört zu ihrem Alltag dazu. Selbst die Madagassen schmunzeln über ihr Zeitmanagement und nennen es „madagassischer Termin“. Das bedeutet, dass mit bis zu einer oder manchmal auch zwei oder mehr Stunden Wartezeit gerechnet werden muss. Das gilt für die öffentlichen Verkehrsmittel wie den Taxi-Brousses oder Bateau-Brousses, bei Erledigungen auf Ämtern und Banken, bei Veranstaltungen (vor allem staatlich organisierten) und teilweise auch im Privaten.

Die madagassische Kommunikations- und Organisationsfähigkeit hat schon mehr als einmal an meinen Schweizer Nerven gezerrt. Viel wird sehr kurzfristig durchgeführt – geplant, diskutiert und entschieden mehr im Moment als im Voraus. Geburtstagseinladungen treffen am gleichen Tag ein, Hochzeiten werden einen Monat im Voraus angekündigt, der Ablauf grosser Veranstaltungen ist nicht transparent, die Länge der Weiterbildungen erfährt man vor Ort, usw.

Dadurch findet das Leben viel mehr im Jetzt statt. Der ländliche Alltag besteht aus Arbeiten, Haushalten und Kochen, plaudern und lachen, warten und schlafen. Freizeitbeschäftigungen gibt es kaum, ausser die sonntäglichen Kirchen- und Strandbesuche oder wenn das Geld reicht, das gemeinsame Biertrinken am Abend.

Durch Gespräche mit unterschiedlichsten Menschen habe ich einen Eindruck erhalten von den Lebensumständen, den Freuden und Schwierigkeiten, die das Leben einzelner Menschen oder Familien bestimmen, aber auch von den Problemen, mit denen das Land im Allgemeinen zu kämpfen hat. Obwohl eine Unmenge an Lösungsansätzen vorhanden wäre, sind es die Politik, die Korruption, die verstärkte Kriminalität und Selbstjustiz, das schnelle Bevölkerungswachstum, Folgeerscheinungen der Kolonialisierung, aber auch die Einstellungen und Gewohnheiten der Bevölkerung, die den Weg aus der Armut erschweren. Jede weitere Geschichte, die ich hören darf, ermöglicht es mir, die Zusammenhänge besser herzustellen, um so das Land und die Leute Stück um Stück verstehen zu lernen. 

Für mich persönlich waren es zwei körperlich und psychisch sehr erholsame Monate. Ich hatte Zeit, mich wirklich auf das Leben in diesem Dorf einzulassen und mich vom gemächlichen Rhythmus des madagassischen Alltags tragen zu lassen. Ich habe gelernt, alles in Ruhe anzugehen, abzuwarten, zu beobachten, eines nach dem anderen zu erledigen.

Wollte sich mein schweizerisches Planungsbedürfnis von Zeit zu Zeit doch durchsetzen, wurde es durch die Umstände schnell wieder an seinen Platz verwiesen. Von den bevorstehenden Planänderungen erfuhr ich meist am Vortag oder höchstens ein paar Tage davor. So gab es während den zehn Wochen eine Bildungskonferenz, den Tag der Frauen, ein Wiederaufforstungstag, ein Spiel- und Sporttag, eine Prüfungswoche sowie einen Tag der Medikamentenabgabe zur Behandlung von Wurmerkrankungen. Neben den vielen krankheitsbedingten Ausfällen der Lehrpersonen, waren auch die drei Zyklone, welche ich hier miterlebt habe, verantwortlich für unbetreute Klassen bzw. mehrere unterrichtsfreie Tage. 

Neben dem Arbeiten in der Schule erhielt ich die Möglichkeit, Einblick in die vielseitigen Arbeiten und Beschäftigungen von Caroline und ihrer Familie zu erhalten. So konnte ich bei den täglichen Arbeiten in und ums Haus mitwirken, eine Touristengruppe für eine Woche auf dem Canal des Pangalanes begleiten und mithelfen, diese zu bekochen und zu bedienen. Ich wurde bei den Vorbereitungen für die im Hotel stattfindenden Parties einbezogen, konnte von Carolines Kochkünsten lernen und wurde von Simone in die madagassische Handarbeitskunst eingeführt. Viele Stunden Gespräche mit Caroline über alle möglichen Themen ermöglichten mir, mein Französisch aufzufrischen. Daneben lehrte mich Simone mit einer Engelsgeduld meine Madagassisch-Kenntnisse zu erweitern. (Efa mahay miteny teny gasy kely aho. = Inzwischen kann ich etwas madagassisch sprechen)

Bei meiner Abreise nehme ich also nicht nur meine sieben Sachen und die vielen erhaltenen Geschenke mit, sondern auch alle Erlebnisse, Begegnungen, Bilder und Geschichten, die mein Leben hier zu einer unvergesslichen Erfahrung haben werden lassen 🙂

Ich blicke gleichzeitig vorfreudig auf die vor mir liegende Zeit. Ich habe Caroline eingeladen, mich die beiden Wochen zu begleiten, die mir vorerst in Madagaskar bleiben. Sehr zu unserer beiden Freude wird sie ihre ersten Ferien seit über zehn Jahren gemeinsam mit mir verbringen.

Wir werden mit dem Bateau-Brousse und vielen Taxi-Brousses via Mananjary, Fianarantsoa bis nach Toliara an die Westküste reisen.

Am 11. April werde ich mich schliesslich für einige Wochen von Madagaskar verabschieden, um in mein nächstes Abenteuer zu starten: die Erkundung der Insel La Réunion…

Mazotoa sy veloma !

Alles Gute und herzliche Grüsse

Sarah

 

Hier auch einen Film, den Sarah für das Projekt «A Bonne Ecole» in Nosy Varika gemacht hat. Tsarabe Madagaskar finanziert seit mehreren Jahren die Lehrerlöhne für dieses Schulprojekt.

Wenn SIE uns helfen möchten, dieses Projekt weiterhin zu unterstützen, dann schicken Sie uns eine Spende mit einem Vermerk «A Bonne Ecole»

An diese Stelle nochmals einen grossen Dank an Sarah für ihren Einsatz vor Ort und für diesen Film!

Hier nochmals den gleichen Bericht, mit Photos:
madagassische Grüsse Sarah Franz

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